03.04.2024

Projektmanager fürs Leben

Koosha Aghaee-Hakak kam vor sechs Jahren aus dem Iran zum Studieren nach Deutschland. Wie ihm seine Projektmanagement-Skills dabei halfen, in der Fremde Fuß zu fassen, an welcher Stelle die Deutsche Bahn ins Spiel kam und welche Fäden der 31-Jährige seit 2020 bei der Ausbaustrecke 46/2 Emmerich – Oberhausen in der Hand hält.

In ein anderes Land auszuwandern, ist nicht nur Abenteuer. Es erfordert auch echtes Projektmanagement. Diese Erfahrung machte Koosha Aghaee-Hakak, als er 2016 aus dem Iran zum Studieren nach Deutschland kam. Schon am Flughafen, umgeben von Koffern, stellten sich ihm zahlreiche Fragen: Wo werde ich wohnen? Wohin mit meinem Bargeld? Wo melde ich mich? Wo versichere ich mich? Wo ist die Uni? „Von da an musste ich priorisieren, mir Hilfe suchen, schauen, welche Fragen sich zusätzlich auftun und gleichzeitig die Entwicklung meiner Kosten und die Timings für die nächsten Schritte im Blick behalten. Also so ziemlich die gleichen Aufgaben wie im Projektmanagement“, erzählt er. Dass dies gleichzeitig ein Vorgeschmack auf seinen zukünftigen Job als Projektingenieur bei DB Netz war, konnte er zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen.

Der Traum von Europa
Koosha wuchs in der iranischen Hauptstadt Teheran auf. „Mein großer Traum war es, irgendwann im Leben ins Ausland zu gehen, am liebsten nach Europa.“ Er fing ein Bauingenieurstudium an, lernte Deutsch und arbeitete nebenbei als Dolmetscher für die Deutsch-Iranische Industrie- und Handelskammer. Hier begegnete ihm zum ersten Mal die Deutsche Bahn: „Damals besuchte eine Delegation von DB Cargo Teheran, um zu schauen, wo man im Iran auf der neuen Seidenstraße, einer Handelsroute von China bis nach Europa, in den Schienenverkehr investieren könnte. Die Begleitung der Delegation sowie die Gespräche fand ich sehr beeindruckend.“ 2016 beschloss Koosha, sein Leben im Iran hinter sich zu lassen und für das Masterstudium nach Deutschland zu gehen.

Das Bauingenieurstudium zog ihn an die Ruhr-Universität Bochum. Auch wenn sein Bachelor und der Job als Dolmetscher ihn fachlich sowie sprachlich gut aufs Ausland vorbereitet hatten, war das Studium zunächst herausfordernd. „Im Persischen schreiben wir von rechts nach links. In meiner ersten Matheklausur war ich so nervös, dass ich unbewusst alle Zahlen auf Persisch aufgeschrieben habe und natürlich erstmal durchgefallen bin“, erzählt er. Bei der Klausureinsicht konnte er die Arbeit noch einmal mit dem Professor durchgehen. „So wurde aus der 5,0 schnell eine 1,3“, sagt er lachend. 

Rückblickend war der Start in Deutschland für Koosha die richtige Herausforderung zur richtigen Zeit: „Ich musste erst einmal verstehen, wie die Deutschen ticken, weil der Umgang miteinander hier ein ganz anderer ist als im Iran. Ob bei Antragsstellungen in den Ämtern oder an der Uni: Hier spricht man sehr direkt miteinander, egal wie lange man sich schon kennt. Das war für mich anfangs noch sehr ungewohnt.“ Was Koosha schnell verstanden hatte, war, wie man hier Probleme angeht und Lösungen findet: „Dabei bin ich richtig über mich hinausgewachsen.“

Vom Werksstudenten zum Projektingenieur
Um nach dem Uni-Abschluss in Deutschland bleiben zu dürfen, musste sich Koosha frühzeitig um einen Job kümmern. Dafür gab es klare staatliche Vorgaben: Zum einen sollte die Arbeit in einem systemrelevanten Infrastrukturbereich sein, zum anderen brauchte er eine angemessene Vergütung. Hier kam die Deutsche Bahn ins Spiel: „Da ich zu dem Zeitpunkt noch keine Berufserfahrung als Bauingenieur hatte, habe ich mich zunächst auf eine Stelle als Werksstudent beworben. Damals war eine bei der DB InfraGO AG für das Projekt ABS 46/2 zwischen Emmerich und Oberhausen frei.“ Koosha trat die Stelle noch in den finalen Schritten seines Masterstudiums an. Nach drei Monaten bekam er die Möglichkeit, im Projekt in Vollzeit als Projektingenieur zu arbeiten, während er parallel seine Masterarbeit fertigstellte – seine Aufenthaltsgenehmigung war also gesichert. 

Die Arbeit als Projektingenieur hatte sich Koosha während des Studiums anders vorgestellt. „Ich dachte, dass ich hauptsächlich auf der Baustelle sein und zum Teil auch den Bau überwachen würde“, sagt er. Dass der Job um einiges vielfältiger ist, als er angenommen hatte, wurde ihm bereits nach kurzer Zeit bewusst: „Ich habe festgestellt, dass ein Bauingenieur gleichzeitig ein sehr guter Projektmanager sein muss: von der Koordination von Terminen bis hin zur Überprüfung der Kosten und der Qualität. Als Projektingenieur finden wir auf alle Fragen eine Antwort“, erzählt er. Die beste Vorbereitung auf diese Aufgaben war für ihn rückblickend die Anfangszeit in Deutschland. „In Kombination mit den fachlichen Fragestellungen macht mir das unglaublich viel Spaß und ich bin sehr froh, dass ich bei der DB etwas gefunden habe, das ich gar nicht gesucht habe, aber was genau das Richtige für mich ist“, sagt er.

Arbeiten über Grenzen hinweg
Bei dem Projekt der ABS 46/2 ist Koosha für den letzten Planfeststellungsabschnitt (PFA) 3.5 zwischen der Stadt Elten und dem Grenzbereich zu den Niederlanden zuständig. „Nach meinem Job als Dolmetscher ist es für mich ein großes Glück, wieder in so einem internationalen Arbeitsumfeld arbeiten zu können. Der Austausch mit den niederländischen Kolleg:innen ist sehr spannend.“ Der 31-Jährige klärt mit ihnen – meist auf Englisch – technische und kaufmännische Fragestellungen, da die Gleise am Ende des PFA 3.5 unmittelbar an die in den Niederlanden grenzen. 
Der Planfeststellungsabschnitt 3.5 im Überblick
Auch mit den Anwohner:innen ist er im Austausch, um sie über den geplanten Ausbau zu informieren. Der PFA 3.5 hat 2022 einen wichtigen Meilenstein erreicht: „Wir haben vergangenes Jahr im Zuge des Planfeststellungsverfahrens die ersten Deckblattunterlagen veröffentlichen können. Sie ebnen den Weg für eine Planfeststellung.“ Der Projektingenieur hofft auf ein baldiges grünes Licht für den Baubeginn.  

Seine Zukunft sieht Koosha definitiv in Deutschland. „Ich möchte gerne hierbleiben und zurückgeben, was das deutsche System mir ermöglicht hat. Ich habe mich hier sehr gut eingelebt, auch weil es im Ruhrgebiet eine große persische Community gibt.“ Dennoch wird er seine Wurzeln nicht vergessen. Mindestens einmal im Jahr versucht er, seine Familie im Iran zu besuchen. Falls doch zwischendurch mal Heimweh aufkommt, hat Koosha ein Geheimrezept: Kashke Bademjan, ein persischer Dip aus Auberginen und Joghurt mit Minze und Safran. „Das schmeckt zwar nicht so wie bei Mama, aber ist für mich ein Stück Heimat in Deutschland.“